In der Rezension ,,Emanzipation einer edlen Seele‘‘, verfasst von Steffen Radlmaier und veröffentlicht im Jahre 1999 in den Nürnberger Nachrichten, nimmt er Stellung zu Holger Bergs‘ Inszenierung des Klassikers ,,Iphigenie auf Tauris‘‘ im Nürnberger Schauspielhaus. Zu Beginn der Rezension legt der Autor den Schwerpunkt direkt auf die Hauptfigur des Stücks, Iphigenie, die in der Inszenierung von Michaela Domes verkörpert wird. Deshalb beschreibt er das Drama mit der Alliteration ,,humanistisches Hörspiel‘‘ (vgl. Headzeile), womit er hervorheben will, dass in dem Stück mehr gesprochen als gehandelt wird. Um den Leser besser in die Welt der Iphigenie einführen zu können, geht Radlmaier zunächst auf die deutsche Geschichte ein. Vielen Germanisten und Gymnasiasten sei die Iphienie bekannt, viele ,,deutelten‘‘ an ihrer Botschaft herum. Darüber hinaus informiert er darüber, dass Goethe, als Verfasser der Iphigenie, selbt in seiner eigenen Inszenierung,in der Nähe von Weimar vor über 200 Jahren, den Bruder Orest spielte. In Verbindung damit bringt er die Erbauung der Konzentrationslager im Jahr 1937, um die ,,widersprüchlichen Pole deutscher Geschichte‘‘ (Z. 10/11) gegenüberzustellen. Mit dieser Art von Einleitung gibt er also einen kurzen Überblick sowohl über Goethe und seine Inszenierung,als auch über die geschichtliche Verbindung dieses Dramas bis heute. Im Hauptteil beginnt er damit, genauer auf Bergs Inszenierung einzugehen und die Nähe zum Ausgangswerk zu thematisieren. Er ist der Ansicht, dass in der Aufführung des Nürnberger Schauspielhauses keine Widersprüche zu spüren seien und mit der Metapher ,,der alte Traum von Menschlichkeit und Wahrheit‘‘ (Z. 14/15) verweist er erstmals auf die Humanitätsideale, die stellvertretend für Iphigenie stehen. Außerdem übe sich der Regisseur in Werktreue und auf dem schmerzhaften Emanzipationsprozess einer Frau liege seine Aufmerksamkeit. Darüber hinaus urteilt Radlmeier über die Inszenierung, indem er die schauspielerische Leistung bewertet. Michaela Domes mache aus der Iphigenie eine natürliche Frau und anstatt eine Idealfigur darzustellen, verleihe der Regisseur ihr eine geradezu natürliche Form. Mit der Antithese ,,weniger schaudernd als mit belustigtem Unterton´´ (Z. 25) stellt er die Wirkung des Eröffnungsmonologes in Frage und es wird deutlich, dass diese Stelle der Inszenierung seiner Meinung nach nicht überzeugend gelungen ist. Um seinen Standpunkt besser zu verdeutlichen, bezieht Radlmaier Kritik anderer Autoren mit in seine Rezension hinein. Eckermann vertritt nämlich die Ansicht, dass das Stück einige Schwierigkeiten habe und reich an innerem, aber arm an äußerem Leben sei (vgl. S.119 Z.28- S.120 Z.1). Daraus lässt sich entnehmen, dass beide Autoren es für schwer möglich halten, das Stück angemessen und wirkungsvoll zu inszenieren. Daher spart Radlmaier weiterhin nicht mit Kritik, sondern bemerkt ebenfalls, dass Michaela Domes‘ die Darstellung der Iphigenie nur ansatzweise gelinge und besonders ihr Gewissenskonflikt werde nicht gut deutlich. Sein hypotaktischer Satzbau ,,mal affektiert, mal spontan, gar nicht so unausgeglichen‘‘ (vgl. 120 Z. 8-119 veranschaulicht, dass er keine genaue Einschätzung über Iphigenie machen kann und darüberhinaus kritisiert er damit auch die Regie. Seine Unklarheit über die Darstellung der Iphigenie macht er an den ,,stereotypen Bewegungen‘‘ (S. 120 Z. 40/41) fest und seine Formulierung ,,wohl kaum angemessen‘‘ (Z.42) wirkt sogar provozierend und unterstützt seine Kritik. Auch das Einhalten der strengen Sprachrhythmen, das wichtig für das Gelingen des Stücks sei, gelinge nur teilweise und auch die Bühne und das Licht blieben unverändert. Mithilfe des Vergleichs ,,wie ein Indianerhäuptling bei den Karl-May-Festspielen‘‘ (Z.27) macht er sich über die Kostüme lustig und er lässt den Leser an der Ernsthaftigkeit der Inszenierung zweifeln. Das abwertende Nomen ,,Maskerade‘‘ (Z. 28) und die rhetorische Frage ,,Diesen Mann heiraten?‘‘ mit der eindeutigen Antwort ,,Niemals!‘‘ (Z. 30) verdeutlichen, dass er die Schauspieler und ihre Leistung nur schwer ernst nehmen kann und dass es kaum Aspekte gibt, die an der Bühnen- und Darstellerinszenierung gelungen sind. Sein neuer Absatz ,,Der edle Wilde entsagt‘‘ konzentriert sich hauptsächlich auf Iphigenies‘ Bruder Orest und dessen Schauspieler Michael Hochstrasser, dem Radlmaier ausnahmsweise etwas Positives abgewinnen kann. Er lobt seinen überzeugenden Auftritt und geht inhaltlich auf Orests Wahnvorstellungen und das verfluchte Atridengeschlecht ein. Da er die Begegnung zwischen Iphigenie und Orest aber erneut als nicht glaubwürdig beschreibt, hilft das Oxymoron ,,schuldlos-schuldig‘‘ (Z. 36) seine zwiespältige Meinung deutlich werden zu lassen. Orests ,,verteufelt humane‘‘ (S.121 Z. 6) Schwester sei hin und hergerissen zwischen Fluchtgedanken und Verrat und er hebt hervor, dass der Wille, den Götterfluch zu lösen, Iphigenie nicht in Ruhe lässt und sein Symbol verdeutlicht dieses. Die Anglizisme ,,Happy-End‘‘ (Z.12) und die Alliterationen ,,edler Wilder-edle Wilde‘‘ (Z.13) heben Radlmaiers Ironie hervor und es wird abermal deutlich, wie kritisch er der Umsetzung gegenübersteht. Im Schlussteil kommt der Autor zu dem Endergebnis, dass die gesamte Ensembleleistung einigermaßen respektabel sei. Daher sei auch die Reaktion des Publikums, ein kräftiger Beifall (vgl. Z.16), passend, jedoch zeigt die Personifikation ,,kleinlaute Buhs‘‘ (Z.17), dass das Publikum, so wie er selbst, die Inszenierung nicht rundum gelungen fand. Abschließend lässt sich über Radlmaiers Gesamteindruck der Inszenierung sagen, dass er der Umsetzung eher kritisch gegenübersteht. Vor allem die schauspielerische Leistung lässt ihn an der Glaubwürdigkeit der Umsetzung zweifeln und auch die teilweise negativen Reaktionen des Publikums teilt Radlmaier letztendlich.